Selbstverständnis – wir über uns
SEMTEX. Ein Sprengstoff. In der weltweiten Geschichte von Widerstandskämpfen wurde er als ‘Waffe der Armen’ bekannt, weil er von Guerilla-Gruppen im Kampf um Befreiung gegen meist übermächtige Unterdrückungs- und Besatzungsapparate eingesetzt wurde.
Wir – die Aktiven im Kulturkollektiv SEMTEX – wollen auch Sprengstoff sein. Sprengstoff im politischen, sozialen und kulturellen Sinn. Sprengstoff gegen Grenzen im Kopf. Sprengstoff gegen die Verhältnisse.
Der kapitalistische Alltag ist geprägt von Individualisierung und Egoismus, von Entfremdung und Ausgrenzung, von Verwertungslogik und Konsum. Wir wollen uns diesen Zuständen nicht unterwerfen und sie schon gar nicht als unveränderbar akzeptieren. Wir haben andere Vorstellungen vom Leben und der Arbeit, Träume von einer anderen Gesellschaft und Visionen einer anderen Zukunft. Wir wollen Sand im Getriebe sein. Und gleichzeitig die Menschen und die Verhältnisse zum Tanzen bringen.
Ausgehend von unseren Erfahrungen und der daraus gewonnenen Gewissheit, nur gemeinsam mit anderen Ideen entwickeln, Projekte verwirklichen und den Aufbruch wagen zu können, haben wir uns als Kneipen-, Konzert- und Musik-Kollektiv organisiert. Ein Kulturkollektiv, dessen Mitglieder unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht oder sexueller Orientierung mit gleichwertiger Stimme gemeinsam diskutieren, streiten und entscheiden. Wir verstehen dieses Projekt daher auch nicht als sub-, sondern vielmehr als gegenkulturelle Alternative zu patriarchalen und hierarchisch geprägten Gesellschaftsstrukturen und dem gleichförmigen und oftmals sinnentleerten Mainstream-Entertainment. Dieser Anspruch ist Ausgangspunkt unseres Handelns.
Das SEMTEX soll ein von Solidarität und Miteinander geprägter Freiraum sein, in dem Sexismus, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit und Diskriminierungen jeglicher Art keinen Platz haben und nicht geduldet werden. Menschen sollen bei uns in einer angstfreien Umgebung alleine oder mit Freund*innen feiern, tanzen, trinken – mit dem sicheren Bewußtsein, z.B. im Fall von körperlichen, verbalen oder sexualisierten Übergriffen Schutz und Unterstützung zu erhalten.
Aber das SEMTEX ist nicht nur ein Ort zum Feiern. Neben Parties organisieren wir Veranstaltungen, Lesungen und Filmvorführungen zu verschiedenen Themenbereichen.
Das SEMTEX ist ebenso ein Ort der Begegnung und des Austauschs. Deshalb stellen wir anderen Gruppen und Initiativen unsere Räumlichkeiten zur Verfügung, wenn deren Inhalte und Handlungen unserem Selbstverständnis nicht widersprechen.
Wir verstehen das SEMTEX als Teil des alternativen Kulturbetriebs auf St.Pauli, sehen unseren Platz und unsere Funktion aber nicht losgelöst vom sonstigen Kiez-Leben. Wir wollen von unseren Nachbar*innen, den Bewohner*innen der Straße und den Menschen im Viertel nicht als Fremdkörper oder gar Störenfriede wahrgenommen werden, sondern als Bereicherung des kulturellen und sozialen Lebens und Gegenentwurf zur weiter fortschreitenden Gentrifizierung unseres Stadtteils.
Das SEMTEX ist nicht besetzt, wir haben uns diese Räume nicht genommen. Wir zahlen Miete, Wasser und Strom. Und auch die Getränke, die wir im Laden anbieten und verkaufen, sind nicht die Beute nächtlicher Raubzüge. Wir haben als Kollektiv also einen sehr legalistischen Weg gewählt, um unsere Ideen umsetzen zu können. Dieser selbstgewählte Umstand setzt uns unter einen nicht abzustreitenden kommerziellen und finanziellen Druck. Trotzdem wollen wir mit fairen Preisen, bezahlbare Veranstaltungen und Getränke anbieten. Im SEMTEX gibt es keinen Konsumzwang. Unser Ziel ist nicht die Gewinnmaximierung: mögliche Überschüsse werden weder im Kollektiv noch an andere ausgeschüttet. Alle erwirtschafteten Mittel werden für den laufenden Betrieb und die Planung und Durchführung künftiger Veranstaltungen eingesetzt.
Wir haben zu Beginn dieses Textes geschrieben, daß wir Sand im Getriebe sein wollen. Obwohl wir uns darüber bewußt sind, daß wir wie alle die hier leben oder arbeiten oder überleben müssen Bestandteil dieses Getriebes sind: kleine Rädchen, die das große Rad am Laufen halten. Dieser Widerspruch ist der Raum, in dem wir uns bewegen. Es ist der Raum, in dem wir laut, unbequem, bunt, kreativ und subversiv sein können.
Bildet Euch, bildet andere, bildet Banden!